Númenor, der Untergang eines Kontinents
“O Solon, Solon, ihr Griechen bleibt doch ewige Kinder;
einen alten Griechen gibt es ja überhaupt nicht.
…und das ist der Grund davon…
…schon manches Mal und auf viele Arten ist die Menschheit
vernichtet worden, am gründlichsten durch Feuer und Wasser.”Timaios 21e – 25d
Platon
Und das Meer brach auf Manwes Bitten an Ilúvater über Númenor herein. Doch was geschah zu jener Zeit, im Zeitalter der Sonne? Was ließ Manwes Zorn derart erzürnen? Ich mag es euch erzählen, so wie es so viele schon getan haben.
Ganz wie Atlantis ist Númenor oder Andor, das “Land der Gabe”, aber auch Atalante oder Atalantie (Quenya) und Akallabêth (Sindarin) genannt, versunken. Wie es die elbischen Wörter umschreiben: “Die Versunkene” Insel, der Mythos von Mittelerde und der Untergang einer großen Kultur.
Das “West-Land” oder “Westernis” ist die Übersetzung von Númenor aus dem Quenya. Númenor war einst eine Insel im Belagaer. Es war das westlichste aller “sterblichen Lande”, das die Valar den drei Häusern der Edain, den Menschen, als Lohn ihrer Tapferkeit im Juwelenkrieg gegen Morgoth am Ende des Ersten Zeitalters aus dem Meer hoben, am Horizont von Eressea. In Adûnaïsch, der Sprache der Dúnedain hieß ihre Heimat Yôzâyan. Die ersten Ankömmlinge jedoch nannten die Insel Elenna, was auf Quenya “sternwärts” heißt, weil die Schiffe auf der Fahrt dorthin Earendils Stern gefolgt waren. Erst als sie wieder nach Mittelerde reisten, sprachen sie von Númenor oder Anadûnê.
Die Insel umfasste etwa 440 000 m². Zum Vergleich ist Númenor doppelt so groß wie Großbritannien, fünf Mal größer als Irland gewesen. Somit war Númenor ein kleiner Kontinent und keine Insel.
Unendlich viele Vogelschwärme umflogen alle Küsten, so dass die Seefahrer die Insel schon von weiten erkannten. Aber auch im Landesinneren gab es viele Vogelarten, wie der Kirinki. Er war etwas größer als ein Zaunkönig und trug ein prächtiges scharlachrotes Federkleid. Kirinkis zeichneten sich für ihren besonders schönen Gesang aus. Alle Vögel wurden weder gejagt noch belästigt und ganz im Norden auf dem gebirgigen Nordkap nisteten die Adler, Abkömmlinge von Thorondors Adlern.
Die Umrisse der kleinen Kontinents erinnern an einen fünfzackigen Stern, fünf Vorgebirge auf Halbinseln schmücken die Insel, die nach Himmelsrichtungen benannt waren: Forostar (Nordland), Andustar (Westland), Hyarnustar (Südwestland), Hyarrostar (Südostland).
Diese fünf Regionen umrahmten das Binnenland, das Mittelmar. Der größte Teil der Bevölkerung lebte im Königsland Arandor, das zu Mittalmar gehörte. Arandors Hauptstadt hieß Armenelos, der Hafen Rómenna und der heilige Berg Meneltarma ganz in Mittel des Eilands. Das Klima und die Landschaft waren vielfältig und reichten, um die Bevölkerung selbst zu ernähren. Allerdings gab der Boden nicht viele Metalle her, und der Einfallsreichtum der Bewohner war gefragt: so arbeiteten sie viel mit Holz und Stein.
Ab 32 ZZ. herrschte Elros, Elronds Bruder, der sich für die Sterblichkeit entschied. Jedoch schenkten die Valar ihm und seinen Nachkommen ein langes Leben. So regierten sie als Könige und Königinnen von Númenor. Die ersten Könige waren zumeist Gelehrte als Staatsmänner und so gebrauchten sie neben Adûnaïschen vornehmlich die Elbensprache. Thronfolger wurde zunächst immer der älteste Sohn, doch seit Tar-Ancalime (1075-1280 ZZ), der Tochter Tar-Aldarions, der keine Söhne hatten, traten auch mal Töchter die Nachfolge an. Alle 25 Könige der Númenor waren Nachkommen von Elros. Ja auch die späteren Könige von Gondor und Arnor stammten über Elendil von einer Nebenlinie der númenórischen Königsfamilie ab.
Ein großes Interesse der Númenorer galt der See. Schnell wurden die Númenorer hervorragende Seefahrer, bauten Segelschiffe, die später auch Ruder hatten und von Kriegsgefangenen und Sklaven bemannt wurden. Das war nicht immer so: die Schiffen mit den sie kamen wurden von Elben geführt, denn sie verstanden sich zunächst nicht in der Kunst der Seefahrt.
Zudem blieben sie zunächst mit ihren Schiffen an den Küsten um Fischfang zu betreiben. Sie lernten aber von den Elben zusehest den Schiffbau. An der Westküste Andúnis, die den Elben von Eressea an nächsten lag, entstand die erste große Hafenstadt. Sie verlor aber an Bedeutung als Rómenna im Osten fertig gestellt wurde, da diese näher an der Hauptstadt lag. Im Schiffsbau übertrafen die Númenórer zuletzt ihre elbischen Lehrmeister.
Etwa ab 600 ZZ fuhr Kapitän Veantur erstmals nach Mittelerde. Aber erst sein Enkel König Tar Aldarion förderte die Seefahrt ausschlaggebend: indem er einmal die “Gilde der Wagemutigen” gründete, einen Seefahrerverband und zusätzlich in Mittelerde die Häfen Vinyalonde (Lond Daer), Umbar, Pelargir bauen ließ. Númenor griff dann ab 1700 auch in die Kriege von Mittelerde ein. So schickte Tar Minastir Gil-galad eine starke Flotte gegen Sauron zur Hilfe. Unter seinem Nachfolger Tar-Ciryatan (1869-2029) erweiterte sich die Stellung der Númenorer zur Kolonialmacht und sie forderten Tribute ein. Leider trieb diese Entwicklung zur immer größeren Unzufriedenheit und die Machtgier gewann die Oberhand. Die Númenorer sehnten sich nach der Unsterblichkeit, die so urteilten sie, aus dem Land Aman verliehen wurde. So wollten auch sie nach Aman reisen, doch wurde ihnen durch den Bann verwert.
Sie entwickelten Totenkulte, ähnlich dem der Ägypter, bauten riesige Königsgräber und lernten die kunstvolle Einbalsamierung. Es breitete sich eine immer größere Elbenfeindschaft aus. Auch das Heiligtum für Ilúvater auf dem Meneltarma wurde seltener besucht und schon bald wurde es von den Königen ganz vergessen, die jahreszeitlichen Opfer dort darzubringen. Die Elbensprache wurde verboten bis schließlich es den Elben im 32. Jahrhundert sogar ganz untersagten wurde Númenor zu betreten. Folglich spalteten sich die Númenorer in zwei Parteien: den Elbenfreunden (Elendili) oder auch “Getreuen” genannt und einer Königspartei. Die Kämpfe zwischen diese Parteien glichen zeitweise einem Bürgerkrieg.
Der Letzte König (Ar Pharazôn) war kein traditioneller Herrscher, sondern einer der den Thron unrechtmäßig in Besitz nahm. Er war so mächtig geworden, dass er selbst Sauron im Jahre 3261 sich unterwarf. Sauron war zunächst des Königs Gefangener, doch binnen kurzem wurde Sauron zu seinem Ratgeber. Dieser ließ einen Tempel für Melkor, dem Herrn der Äußeren Dunkelheit, errichten, indem sogar Menschenopfer organisiert worden. Der Hass auf die Valar und der Stolz des Volkes auf die eigene Macht kannten keine Grenzen mehr. Letztlich verführte Sauron den König Aman anzugreifen. Eine riesige Kriegsflotte, die Größte die je die Meere der Vorzeit befuhr, landete 3319 ZZ an den Küsten Amans mit dem Ergebnis, dass Manwe kurzzeitig seine Herrschaft niederlegte. Doch Ilúvater ließ Númenor vom Meer verschlingen und änderte die Gestalt der Welt zu jener, die wir heute kennen.
Es überlebten nur die Númenorer, die in Mittelerde waren, darunter viele “Schwarze Númenorer”, Anhänger von Sauron und die Getreuen, die unter Elendil mit neun Schiffen nach Mittelerde entkamen. Elendil und seine Söhne Isildur und Anárion gründeten die Reiche der Dúnadain, die Königreiche Arnor und Gondor.
Ja das ist die Geschichte, die zur Erinnerung an Númenor von Menschen in späteren Zeiten rezitiert wird, von Atalante (Quenya) oder Akallabêth (Adûnaïsch), der “Versunkenen” oder von Mar-nu-Farmar, dem Land unter den Wellen.